„Immer hat es zwischen uns gescheppert – und betrogen hast du mich auch!“ (2024)

Senta Berger und Günther Maria Halmer im Doppelinterview

„Immer hat es zwischen uns gescheppert– und betrogen hast du mich auch!“

„Immer hat es zwischen uns gescheppert– und betrogen hast du mich auch!“ (1)

Erprobtes Filmehepaar: Günther Maria Halmer und Senta Berger.

Quelle: IMAGO/APress

Seite an Seite sitzen die beiden auf dem plüschigen Sofa im Münchner Hotel. Und dann spielen sich Senta Berger und Günther Maria Halmer die Bälle zu: Freimütig reden sie über Vergesslichkeit und Tod– vor allem aber über ihre Lust aufs Leben. Stefan Stosch hat ihnen mit Vergnügen zugehört.

„Immer hat es zwischen uns gescheppert– und betrogen hast du mich auch!“ (2)
Stefan Stosch

Man könnte glatt von einer Filmehe sprechen: Senta Berger und Günther Maria Halmer haben oft als Paar vor der Kamera gestanden – und tun es jetzt wieder im Kinofilm „Weißt du noch?“ (Start: 21. September). Sie spielen ein altgedientes Ehepaar, das vergessen hat, warum es einst geheiratet hat Die 16-jährige Berger schmiss die Schule und schaffte den Sprung ans Max-Reinhardt-Seminar. In Hollywood drehte sie mit Frank Sinatra, Dean Martin, Kirk Douglas und John Wayne. Fernsehstar wurde sie mit Serien wie „Kir Royal“, „Die schnelle Gerdi“ oder „Unter Verdacht“. Halmer wollte mal Pilot werden, lernte im Hotel – und absolvierte schließlich die Otto-Falckenberg-Schule. In den Siebzigern wurde er als schlitzohriger „Tscharlie“ in Helmut Dietls Fernsehserie „Münchner Geschichten“ bekannt. Zu den Paraderollen des 1943 in Rosenheim geborenen Halmer gehörte die des „Anwalt Abel“ in der gleichnamigen TV-Reihe.

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Frau Berger, Herr Halmer, der britische Schauspieler Michael Caine wurde mal gefragt, ob es nicht frustrierend sei, dass er nur noch alte Leute spielen könne. Caine antwortete: besser alte Leute als tote Leute. Einverstanden?

Günther Maria Halmer: Ein netter Satz für Journalisten. Ich kann damit wenig anfangen.

Senta Berger: Na ja, wir beide werden öfter gefragt: Was ist das Gute am Altsein? Ich sage dann immer: Das Gute ist, dass man morgens aufwacht. Das ist ungefähr dasselbe. Ich bin dankbar dafür, dass ich noch da bin, aus meinem Fenster zum Garten rausschaue und mich daran erfreue.

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Halmer: Unser Film „Weißt du noch“ erinnert hoffentlich auch junge Menschen daran, sich morgens beim Blick in den Garten zu freuen.

Berger: Ich hab mich auch früher schon an der Natur erfreut. Aber jetzt ist mir meine Freude bewusster. Mein Mann Michael hört jetzt morgens die Vögel singen und unterscheidet sogar ihre Stimmen. Früher hätte er das nicht mal bemerkt.

Herr Halmer, Ihr Film dreht sich doch ums Alter.

Halmer: Klar. Der Film spielt damit, dass wir ab einem bestimmten Alter nichts Neues mehr anfangen, und dann geben wir irgendwann den Löffel ab. Jedenfalls empfindet meine Filmfigur Günter das so.

Klingt ja traurig.

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Halmer: Der Film setzt die Erinnerung dagegen: Weißt du noch, wie wir in Paris waren? Wie wir den Champagner gekauft haben? Dadurch wird das Leben wertvoll. Das Leben ist mehr, als sich darüber zu ärgern, dass das Frühstücksei zu weich ist.

Im Film kommen blaue Pillen ins Spiel: Würden Sie so eine schlucken?

Halmer: Bei denen denkt vermutlich jeder zuerst an Viagra …

Berger: … und dann an Selbstmordpillen, wie es meine Figur Marianne ja auch tut. Dabei stehen diese blauen Pillen für eine Art Aufruf: Lass uns erinnern, warum wir nach so vielen Jahrzehnten immer noch zusammen sind! Wie alles anfing! Tja, ob ich, Senta Berger, so eine Pille schlucken würde? Ich habe nie Drogen genommen. Für mich ist es schön, wenn etwas sehr schön ist. Wenn ich mich vergnüge, vergnüge ich mich sehr. Und wenn ich lache, dann muss ich sehr lachen. Auch ohne bewusstseinsverändernde Drogen. Aber vielleicht wäre ich neugierig genug, um mit meinem Mann so eine Erinnerungspille auszuprobieren.

Halmer: Ich bin ein absoluter Gegner von Pillen jeder Art. Wenn ich mal Zahnweh habe, dann nehme ich eine Schmerztablette. Das ist alles.

Fällt es schwerer, sich gemeinsam zu erinnern?

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Berger: Frauen erinnern sich sicher besser als Männer. Sie beobachten besser, Stimmungen bleiben besser haften. Manche Paare wollen sich nicht erinnern, ja, nicht einmal darüber sprechen, als wäre das eine unnötige Sentimentalität.

Halmer: In dem Film werden Dinge angesprochen, über die nie geredet wurde: die Krebserkrankung der Ehefrau, die Tochter, die psychische Probleme hat, der Kredit des Sohnes, den er nie zurückgezahlt hat.

Berger: Man darf diesen Situationen nicht ausweichen. Mein Mann verdient es, dass ich Dinge ausspreche, gute und weniger gute. Es bedarf dafür eine gewisse Überwindung und Übung, den richtigen Ton zu finden.

Haben sich Marianne und Günter, Ihr Filmehepaar, noch etwas zu sagen?

Halmer: Die beiden rügen sich permanent. Das zeigt, dass sie einander nicht egal sind. Das ist wie bei einem Zahn: So lange du den Nerv spürst, ist Leben drin. Die haben sogar ein gemeinsames Schlafzimmer. Das ist selten in dem Alter. Da hat meist jeder seins.

Berger: Du schnarchst. Also im Film.

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Wieso sind die zwei noch zusammen?

Halmer: Also meine echte Ehe funktioniert wie ein Puzzle. Wir haben jeder sozusagen Aussparungen, an die meine Frau oder ich andocken. Wir unterscheiden uns gravierend. Sie mag klassische Musik, ich nicht. Sie geht in jedes Kunstmuseum. Mir ist das wurscht. Umgekehrt bin ich ein fanatischer Fußballanschauer, sie langweilt das fürchterlich. Sie ist fleißig, ich bin faul. Was uns verbindet, sind Reisen. Wenn einer wohin will, ist der andere sofort dabei.

Berger: Aber ihr liebt euch.

Halmer: Ja, das passt zusammen.

Ihr Regisseur Rainer Kaufmann hat gesagt, er habe bei der Besetzung sofort an Sie beide gedacht. Wieso?

Berger: Das müssen Sie Rainer fragen. Mir war diese Frau Marianne gleich vertraut. Ich wollte diese Rolle unbedingt spielen. Und allen war von Anfang an klar, dass keiner die männliche Rolle so überzeugend spielen kann wie Günther. Er ist auch so ein Rappelkopf, hat wahnsinnig Kraft. Das ist keiner, der sich ergibt.

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Halmer: Jetzt muss ich auch mal was sagen dürfen: Es gibt keine Frau, die wie Senta im Alter noch so aussieht, dass ich im Film sagen kann: Oho! Keine einzige! Das sind gute Schauspielerinnen. Aber wenn ich mir vorstelle, wie ich sage: Du bist immer noch eine tolle Frau, dann wäre das bei manchen Frauen ein Lacher. Wenn man es zu Senta sagt, lacht keiner.

Berger: Schluss jetzt!

Frau Berger, dabei haben Sie mal verlauten lassen, dass Sie gar nicht mehr vor die Kamera wollen.

Nach der letzten Folge meiner Reihe „Unter Verdacht“ habe ich gesagt, dass ich mich langsam aus dem Beruf lösen werde. Das habe ich getan. Wenn ich eine Geschichte miterzählen kann wie die von „Weißt du noch?“ bin ich gern dabei. Aber ich möchte mehr Zeit mit meinem Mann und meiner Familie verbringen. Ich habe vier Enkelkinder. Ich möchte an ihren Geburtstagen dabei sein und den Jüngsten am ersten Schultag begleiten.

Halmer: Was mich angeht: Ich drehe weiter, so lange es geht, gerade wieder mit Rainer Kaufmann. Alle anderen Schauspieler sind jünger. Da kann man nichts gegen machen. Das ist wie in einem Seniorenheim, mir wird sofort ein Stuhl angeboten. Und das Arbeiten macht Spaß. Man weiß, man kann es.

Klingt besser als das Leben an einem „öden Sonntagnachmittag“, wie es im Film heißt.

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Berger: Ich kenne so einen Sonntagnachmittag gar nicht.

Halmer: Wir haben ja diesen wunderbaren Beruf, der uns nicht mit 65 in Rente zwingt. Das ist anders als bei einem Arzt, der mit all den Neuerungen nicht mehr mitkommt.

Was ist Ihnen kostbarer: die Vergangenheit oder die Zukunft?

Berger: Da ich die Zukunft nicht kenne, liegt mir die Vergangenheit näher. Sie ist mein Fundament für die Gegenwart.

Halmer: Wenn etwas selten ist, dann ist es kostbar, nicht wahr? Und die Zukunft wird für uns knapper.

Spüren Sie die Vergänglichkeit?

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Berger: Natürlich, ja. Wissen Sie, meine Mutter ist 99 Jahre alt geworden und hat bis fast zum Schluss so gelebt, als wisse sie nichts vom Sterben. Sie hatte eine große kindliche Lebensfreude. Ich habe ein bisschen davon geerbt. Aber wenn man mit mir über die Endlichkeit, den Tod sprechen möchte, bin ich bereit. Das ist für mich kein Schreckenswort. Ich denke nur nicht oft daran. Ich stehe im Leben.

Halmer: Ich finde wunderbar, was deine Marianne im Film sagt: Auch wenn wir wissen, dass wir sterben, jetzt leben wir. Ich dagegen bin im Film der Stinkknochen, ein wehleidiger Sack.

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Ein männertypischer Part?

Halmer: Ich weiß gar nicht, ob man heute noch solche Unterschiede aussprechen darf. Aber ja, ich glaube schon: Wenn einem Mann der Beruf weggenommen wird, ist er oft ratlos. Der Beruf ist sein Rückgrat, das rausoperiert wird.

Das Ehepaar im Film macht irgendwann Tabula rasa und verbrennt alte Akten und Papiere im Gartenfeuer. Möchten Sie so ein Feuer schüren?

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Berger: An schlechten Tagen nehme ich mir so etwas vor. Dann werde ich richtig wütend. Sie müssen wissen, ich bin mit jemandem verheiratet, der alles sammelt. Autozeitungen, Filmzeitungen, Programmzeitungen. Ich mache ihm aber keine Vorwürfe. Schon seit Jahren nicht mehr. Er lässt sich ja doch nicht ändern.

Schauspielerinnen und Schauspieler trainieren ihr Gehirn beim Textlernen: Ist Vergesslichkeit für Sie ein Thema?

Berger: Texte sind kein Problem. Aber fragen Sie mich bitte nicht nach Namen. Wenn jemand unvermutet vor mir steht, bin ich ratlos. Ist das Hartmut oder Helmut? Und dann ist es der Gerhard. Textlernen wird überschätzt. Man lernt ja kein Gedicht auswendig wie in der Schule. Der Text verbindet sich mit Gedanken, Gefühlen, Aktionen. Als ich ein junges Mädchen am Theater war, sagte mir ein Regisseur: „Denken und Denken sichtbar machen: Das ist das Geheimnis.“ In dem Moment habe ich meinen Beruf erst richtig begriffen.

Halmer: Ich habe aber auch andere Kollegen erlebt. Manfred Krug war so frech und hat dir seinen Text auf einem Zettel an die Brust geklebt. Gut war er trotzdem. Wir dagegen lernen Text immer noch brutal altmodisch, wie es sich gehört. Sonst wirst du am Drehort zur Last.

Wächst im Alter das Selbstvertrauen?

Berger: Bei mir nicht. Ich habe nicht so viel Selbstbewusstsein, wie es aussieht. Da lüge ich immer ein bisschen.

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Halmer: Aber du sprichst vor Tausenden von Menschen, zum Beispiel in deiner Zeit als Präsidentin der Deutschen Filmakademie. Da vor den Vorhang zu treten, das war wie ein Gang in den Löwenkäfig.

Berger: Aber ich brauche immer Zuspruch und habe immer Angst. Das Lampenfieber wird viel schlimmer. Ich habe eine ganz dünne Haut bekommen. Natürlich springe ich trotzdem, sonst könnte ich den Beruf ja nicht ausüben.

Kommen Sie beide sich manchmal wie ein Filmehepaar vor?

Berger: Sechsmal haben wir in Filmen schon zusammengespielt, vier- oder fünfmal als Ehepaar.

Halmer: Und immer hat es zwischen uns gescheppert. Da ging es um Scheidung oder ums Sterben. Und betrogen hast du mich auch.

Eine Sache müssen wir noch klären: Würden Sie altgedienten Paaren raten, blaue Erinnerungspillen zu schlucken?

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Berger: Vermutlich schon. Weil sie dann wieder wissen, wie alles begonnen hat, wie groß die Liebe war und die erotische Anziehung. Allerdings: Dazu braucht es keine Pille, sondern die Bereitschaft, über sich nachzudenken. Sollte aber mal so eine Pille verschrieben werden, wäre die Nachfrage garantiert groß.

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