„Der Junge und der Reiher“: Was es braucht, um auf gute Weise zu altern - WELT (2024)

Film „Der Junge und der Reiher“

| Lesedauer: 4 Minuten

Von Jan Küveler

Chefkorrespondent Feuilleton

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Hayao Miyazaki, Gründer des Studio Ghibli, verabschiedet sich im Alter von 83 mit dem Meisterwerk „Der Junge und der Reiher“. Darin bündelt er seine gesammelte Weisheit. Das Geheimnis eines gelungenen Lebens liegt in der Kindheit begründet.

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Wenn Hayao Miyazaki, der bald 83-jährige Gründer der legendären Zeichentrickfilmschmiede Studio Ghibli, erzählt, was er beruflich macht, klingt es ganz einfach: „Es geht mir darum, eine einzigartige Fantasiewelt zu erschaffen, mit Figuren zu bevölkern, die ich mag, und daraus dann eine Geschichte zu erschaffen. Das bedeutet Animation für mich.“ So steht es in einem 1996 auf Japanisch erschienenen Interview-Buch. Und es gilt auch heute noch, sechs Filme später.

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Man könnte die knappe Definition als oberflächlich und generisch abtun. Wenn man sich aber auf sie einlässt und ihr nachsinnt – wie es auch Miyazakis Filme verlangen –, erschließen sich tiefere Einsichten. Das World-Building kommt zuerst: meist eine idyllische Natur, in die sich wie ein Untier die industrielle Moderne fräst. „Mein Nachbar Totoro“ durchsaust ein Katzenbus, im neuen Film „Der Junge und der Reiher“ steht ein verfallener Turm – Übergänge in eine Welt der Geister.

Sie ist zugleich eine Geisteswelt, die bild- und raumgewordene Psyche der meist kindlichen Hauptfiguren. Die Magie dieser Welt erschöpft sich nicht in psychologischer Metaphorik; Fantasie und Wirklichkeit bestehen nebeneinander. Zuweilen nimmt die Fantasie so überhand, dass das profane Leben, in dem die Reise der Hauptfigur ihren Anfang nahm, fern und irreal erscheint. Erst am Ende taucht es wieder am Horizont auf, wie ein Sonnenaufgang nach einer von Dämonen gepeinigten Nacht.

„Der Junge und der Reiher“: Was es braucht, um auf gute Weise zu altern - WELT (4)

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Schließlich kommen die „Figuren, die ich mag“. Miyazaki hat oft betont, wie wichtig Sympathie und Intimität für seine Arbeit sind. Schon sein bis dato jüngster Film, von dem man lange glaubte, es wäre sein letzter, „Wenn der Wind sich hebt“ (2013), erzählte die Geschichte eines Flugzeugkonstrukteurs im Zweiten Weltkrieg. Miyazakis Vater arbeitete damals in einer Fabrik, die Teile von Kampfflugzeugen herstellte. Die Gefühle des Regisseurs gegenüber dem Stoff waren gemischt; einerseits fasziniert ihn das Fliegen seit seiner Kindheit, andererseits zögerte er, einem Schöpfer von Waffen einen Spielfilm zu widmen. Dann las er, dass Jirō Horikoshi „nur etwas Wunderschönes schaffen“ wollte. So wie Miyazaki selbst, auch wenn Eltern in Amerika berichten, „Der Junge und der Reiher“ verfolge ihren Nachwuchs nachts in bösen Träumen.

Die Geschichten des Umweltfreunds und Pazifisten Miyazaki sind nicht unbedingt etwas für Kinder. Sie erzählen bloß von Reifeprüfungen. Und paradoxerweise legen sie nahe, dass wir, wollen wir auf eine gute, gesunde Art altern, die Träume, Ängste, Wünsche aus der Kindheit in uns bewahren müssen. Nur so, sagen Miyazakis Filme, überwinden wir existenzielle Krisen und halten doch Kontakt zu dem, was uns im Kern ausmacht.

Der neue Film ist persönlich wie nie: Wie der junge Miyazaki zieht der kleine Mahito Maki während des Krieges aufs Land. Die ersten, erschütternden Bilder, die an den erschütternden Ghibli-Klassiker „Die letzten Glühwürmchen“ erinnern, zeigen, wie Mahitos Mutter nach einem Bombardement in einem Tokioter Krankenhaus verbrennt. Das Feuer flackert in flirrenden Strichen. Konturen von Menschen und Gebäuden lösen sich auf. Übrig bleiben, wie Ascheflocken, Trauer und Entsetzen.

Nur ein Hirngespinst?

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Ein jäher Schnitt, und wir betreten eine Welt, die zu anderen Zeiten, unter anderen Auspizien, ein Paradies hätte sein können: ein altes Herrenhaus inmitten eines weitläufigen Parks. Mahitos Vater, wie einst der von Miyazaki, ist zum Leiter der örtlichen Fabrik für Kampfflugzeugteile bestellt. Er hat die Schwester seiner verstorbenen Frau geheiratet; sie ist schwanger. Mahito prügelt sich in der Schule, bringt sich auf dem Heimweg selbst eine Platzwunde bei. Warum? Um die Angreifer einer härteren Strafe zuzuführen? Um sich selbst zu geißeln, weil er am Tod der Mutter eine vage Mitschuld fühlt? Es bleibt in der Schwebe. In Fieberträumen und mit einem Schädeltrauma erlebt er ein Abenteuer, das nichts sein könnte als ein Hirngespinst.

Ein garstiger Reiher, bewehrt mit losem Mundwerk und scharfen Zähnen, lockt ihn zu jenem Zauberturm am Rande des Anwesens. Von dort führen Pforten in eine Miyazaki-Welt, wie man sie aus „Mein Nachbar Totoro“ (1988) oder „Chihiros Reise ins Zauberland“ (2001) kennt – voller bizarrer Figuren und beherrscht von seltsamen Gesetzen. Der Eingang sieht aus wie Böcklins Toteninsel. Die alten Frauen, die über Mahitos Fieberschlaf wachen, stehen hier als kleine Holzfiguren herum, Sittiche marschieren in Reih und Glied und wetzen die Messer. Sie fressen gern kleine Zeichentrickjungen.

Über allem thront ein Weltenbauer, eine Figur wie Kopernikus, der eine Rolle in einem alten japanischen Buch namens „Wie willst du leben?“ spielt. Es liegt in Miyazakis Film herum, der im Original den gleichen Titel trägt. Es enthält eine Widmung der toten Mutter an ihr Kind. Der Weltenbauer könnte Miyazaki selbst sein, der sein Alter Ego Mahito zu seinem Nachfolger kürt. Vergeblich. Mahito hat Besseres zu tun, als sich in verworrenen Träumen zu verlieren. Er schließt Frieden mit der Mutter und kehrt in die Wirklichkeit zurück. So schließt sich der Kreis. Der große Miyazaki hält auch in seinem letzten Film dem inneren Kind die Treue.

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Author: Horacio Brakus JD

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Name: Horacio Brakus JD

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